von Redaktion
Meteor im Berliner Sommergarten – Geburtsort eines Mythos
Das Turnier im Berliner Sommergarten unter dem Funkturm nimmt in vielerlei Hinsicht den sportlichen roten Faden nun wieder auf. Mit dem Global Jumping Berlin kehrt der internationale Pferdesport wieder zurück an einen Ort, der von besonderer historischer Bedeutung ist. Nachdem die Hauptstadt 1939 in der Deutschlandhalle ihre letzte internationale Reitsportveranstaltung gesehen hatte, fanden hier anlässlich der Grünen Woche im September 1949 wieder erste Reitwettbewerbe statt. Sie waren ein großer Publikumserfolg und ermutigten den Zentralverband Berlin im folgenden Jahr an gleicher Stelle eine erste internationale Großveranstaltung auszuschreiben. Da die Deutschlandhalle auf Grund der starken Kriegsbeschädigung nicht zur Verfügung stand, hatte man anfänglich die Absicht, die Veranstaltung in den Messehallen am Funkturm auszutragen, was zunächst aber an technischen Schwierigkeiten scheiterte, so dass sich der Verband für eine Freiluftveranstaltung im Sommergarten entscheiden musste.
Erstes Turnier in der geteilten Stadt
Die Widerstände gegen diese Veranstaltungen waren in Berlin zunächst sehr groß. Es bedurfte einigen Aufwands, die zuständigen Dienststellen von der Notwendigkeit und der Bedeutung dieses Turniers für die Stadt, aber auch die deutsche Pferdezucht insgesamt zu überzeugen. Eine Problematik vor der auch heute wieder viele Turniermacher stehen. Eine Herausforderung war es insbesondere, die westdeutschen Turnierställe zu einer Reise durch die wenige Monate zuvor gegründete DDR in die geteilte Stadt zu bewegen. Auch das Hindernismaterial und die sonstige Ausrüstung zu beschaffen, war nicht leicht. Im Mai 1950, genau fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, Berlin lag noch weitgehend in Trümmern, war es dann soweit. Das erste internationale Reitturnier fand im Sommergarten unter dem Funkturm statt. Insgesamt gingen an fünf Turniertagen 405 Pferde an den Start, dabei gab es neben den hochkarätigen Dressur- und Springprüfungen bis zur Klasse S auch Eignungsprüfungen für Fahrpferde. Im Mittelpunkt stand damals der Große Preis von Deutschland, in der Tradition der Hallenturniere in der Deutschlandhalle, der bis zum Ende des CHI diesen Namen trug. Hans-Jürgen Huck siegte auf der Holsteiner Stute Toni als einziger fehlerfreier Reiter im Stechen. Der Vater des späteren Olympiareiters Karsten Huck und Großvater von Matthias Alexander Rath verwies damit den Franzosen Major Derringer mit dem Mecklenburger Wallach Tambour III auf den zweiten Platz.
Meteor und Fritz Thiedemann wurden zu Legenden des deutschen Springsports.
Das zweite Hauptspringen, der Große Preis von Berlin, war ein damals als Kanonenspringen bezeichnetes Mächtigkeitsspringen, welches aus einem ganz anderen Grund Sportgeschichte schreiben sollte. Es war der Startschuss zur internationalen Karriere eines der berühmtesten Springpferde aller Zeiten und einer der Identitätsstifter der Holsteiner Pferdezucht: Meteor. Die erst 17-jährige Elke Brandt aus Sönke-Nissen-Koog in Nordfriesland gewann das Springen mit zwei fehlerfreien Stechen auf dem damals siebenjährigen Wallach, mit dem Fritz Thiedemann so viele großartige Erfolge in den folgenden Jahren feiern konnte. „Dieser Sieg machte Meteor mit einem Schlage in der Öffentlichkeit bekannt“, berichtete später Fritz Thiedemann. „Alle Welt sprach von dem Sprungvermögen dieses schweren Holsteiner Wallachs“, so der Reiter aus Elmshorn, der ein freundschaftliches Verhältnis zur Familie Brandt pflegte und bereits einige Pferde von ihnen im Sport vorgestellt hatte. „Das Turnier in Berlin war damals natürlich mit ganz bescheidenen eigenen Mitteln gemacht“, erinnert sich noch heute die Reiterin Elke Friedrichsen, die damals unter ihrem Mädchennamen Brandt bekannt wurde. „Wir taten uns mit einigen Kollegen aus Schleswig-Holstein zusammen.“ Unter anderem dabei war Thies Kohlsaat, der 1950 als 14-jähriger den zweiten Platz im Hamburger Springderby belegte. Seine Familie hatte in Marne ein Fuhrunternehmen und stellte den Lkw zur Verfügung. „Mit diesem fuhren Pferde und Menschen nach Berlin. Wir Reiter saßen im Heu oben drauf – mit Reitsachen, die damals ja kaum einer schon wieder hatte.“ Für die Schülerin aus Holstein, die eines von sieben Geschwistern war, sollte es die erste Reise nach Berlin sein. Von der Stadt hatte sie allerdings nicht viel zu sehen bekommen. „Dazu blieb wenig Zeit, da die Veranstaltung sehr geballt gehalten war. Verglichen mit heutigen Verhältnissen war es natürlich alles sehr primitiv. Die Pferde waren privat untergebracht. Stall konnte man das teilweise aber kaum nennen. Hafer, Heu und Stroh hatten wir alles selbst dabei.“
Das erste internationale Reitturnier im Berliner Sommergarten fand 1950 statt
Als Arbeitspferd vor dem Milchwagen
Die Prüfung in Berlin war für sie das erste S-Springen, vorher hatte sie meist junge Pferde des elterlichen Hofs für den Weiterverkauf geritten. „Für mich war das damals alles Neuland. Es gab ja nur große Springen in Berlin und das machte Meteor alles brav mit.“ Auch für ihn war es das erste internationale Turnier. Der Diskus-Sohn aus der eher kleinrahmigen Stute Konkurrentin von Nebelhorn wurde am 12. Mai 1943 mitten in der Kriegszeit bei Otto Dreeßen in Niendorf, einem kleinen Bauerndorf im Süddithmarschen, geboren. Bereits als Dreijähriger musste er an sechs Tagen in der Woche im Einspänner als Arbeitspferd die Milch vom Hof zur Molkerei bringen. Der Sonntag war sein einziger freier Tag und hier konnte ihn Dreeßen für ein paar Stunden leicht unter dem Sattel trainieren. Es folgten Ende 1948 und 1949 erste Starts auf kleinen Turnieren in der heimatlichen Umgebung. „Ich hatte Meteor, der damals noch Moritz hieß, im März 1950 bei einem Turnier in Meldorf entdeckt“, kann sich Elke Friedrichsen erinnern. „Unsere besten Pferde waren nach Italien verkauft, daher hatten wir nur junge Pferde mit denen wir in Meldorf starteten. Hier startete auch Meteor. Ich sah ihn und sagte zu meinem Vater, den müssen wir haben.“ Auch Thiedemann war damals beim Hallenturnier vor Ort und auch ihm war der springgewaltige Wallach ins Auge gefallen. Meteor war unter seinem Züchter Otto Dreeßen Sieger im Rekord-Hochspringen mit 1,80 m gewesen, die er als einziger fehlerfrei überwinden konnte. Thiedemann war beeindruckt, aber nicht so überzeugt, dass er ein Angebot machte, den Wallach zu erwerben. „Er sah bei aller imponierender Größe etwas gewöhnlich aus, ein schwerer Brocken mit enormer Schulter, einem etwas kurzen, dicken Hals und sehr langem Haar“, beschreibt er später in seinem Buch „Mein Freund Meteor“. Lange habe er damals neben dem Pferd vor der Halle gestanden und ihn angesehen. „Weil ich ihn eben erst bei seinen Sprüngen gesehen hatte, kam er mir auch nicht wie ein toter Klotz vor, sondern vielmehr wie ein enorm großer, auf vier Säulen stehender Gummiball.“ Zwei Tage später war der Wallach verkauft. Elke Friedrichsen (damals Brandt) hingegen fuhr abends vom Turnier zurück nach Hause. Ihr Vater, der ein Meldorfer war, blieb mit ihrer Mutter und einigen Pferdebegeisterten dort. „Drei Tage später stand Meteor bei uns im Stall. Er sah so schlecht aus, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, ihn überhaupt haben zu wollen“, wundert sie sich heute noch über ihre Entschlossenheit. Hier erhielt er auch seinen neuen Namen „Meteor“, unter dem er eine bis dahin beispiellose Karriere starten sollte.
Vom Klappergestell zur Legende
Willy Brandt und seine Familie peppelten den sanften Riesen auf. Wenig später erhielt sie eine Einladung zum Berliner Turnier im Mai. Doch die Zeit bis dahin war knapp. „Wir hatten nur einen kleinen Außenplatz und es war ein ganz nasses, kaltes Wetter, so dass man sich vorstellen kann, wie wenig wir trainieren konnten.“ Unterstützung fand sie bei Reitlehrer Rudi Stegmaier. „Da mussten wir schauen, was man aus dem Pferd macht. Aber innerhalb weniger Wochen entwickelte er sich dermaßen, dass er von einem ganz dünnen Klappergestell zu dem „Dicken“ wurde.“
Auch Thiedemann blieb die Entwicklung Meteors nicht verborgen, aber auch nicht seine gravierenden Rittigkeitsprobleme. Dressurarbeit war jedoch nicht sein Lieblingstraining. Nachdem der spätere Olympiasieger 1950 bereits auf Loretto zum ersten Mal das Derby in Hamburg Klein Flottbek gewinnen konnte, bot Brandt 1951 Thiedemann an, den Wallach in Hamburg zu reiten. Die ersten Turniere glichen mehr einem Desaster als erfolgreichem Sport; trotzdem konnte Thiedemann am Ende zum zweiten Mal das Derby gewinnen. Im Winter kam Meteor dann endgültig zu ihm nach Elmshorn in den Stall und es sollte eine der bis heute legendärsten Erfolgsgeschichten im deutschen Pferdesport folgen. Der Holsteiner Bauernsohn und das ehemalige Arbeitspferd brachten gemeinsam mit dem Paar Hans-Günter Winkler und Halla die bundesdeutsche Reiterei zurück in die Weltspitze. Es folgten 1952 die Bronzemedaille im Einzel bei den Olympischen Spielen in Helsinki, bei der er auch das Edelmetall in der Dressur gewann, die Goldmedaillen mit Mannschaft 1956 in Stockholm und 1960 in Rom. Seine Popularität erreichte 1958 mit dem Gewinn der EM-Goldmedaille im Einzel ihren Höhepunkt. Anschließend wählten ihn die deutschen Sportjournalisten zum „Sportler des Jahres“ als zweiten Springreiter nach Hans-Günter Winkler. Das hat nach ihm kein anderer Reiter mehr geschafft. Am 1. Juli 1961 gewann Thiedemann mit Meteor noch im Preis der Nationen beim CHIO in Aachen, bevor er einen Tag später seinen Rückzug aus dem Profisport verkündete. Meteor starb am 26. August 1966 im Alter von 23 Jahren. Ihm wurde vor dem Landwirtschaftsministerium in Kiel ein Bronze-Denkmal gesetzt und nach ihm einer der wichtigsten Awards der Pferdebranche benannt. Sein Name ist für alle Zeiten bei der FN für andere Turnierpferde gesperrt. Elke Brandt selbst entschloss sich jedoch ihre Reiterkarriere zu beenden. „Wir hatten uns entschieden, das Reiten nicht professionell weiter zu betreiben, auch wenn es viele Angebote gab.“ Sie absolvierte ihre schulische Ausbildung, machte ein Examen in Sport und Gymnastik und war anschließend als Sportlehrerin in Ahrensburg bei Hamburg tätig. Heute lebt die 84-Jährige in Mildstedt in der Nähe von Husum.
Björn Schroeder